Grüne Wirtschaft

Deutschland ist weit weg von einer Million E-Autos

Nissan ist Weltmarktführer bei den rein batterieelektrischen Fahrzeugen. Im Interview, Robert Echtermeyer, Leiter der Nissan Hauptstadtrepräsentanz Berlin.

Nissan ist Weltmarktführer bei den rein batterieelektrischen Fahrzeugen. Im Interview, Robert Echtermeyer, Leiter der Nissan Hauptstadtrepräsentanz Berlin.

29.06.2016

UMWELTHAUPTSTADT.de: Wie würden Sie den Status quo bei der Elektro-Mobilität in Deutschland beschreiben?

ROBERT ECHTERMEYER: Wenn wir Deutschland mit Märkten vergleichen, in denen Elektromobilität bereits in der Gesellschaft angekommen ist und im Alltag funktioniert – bspw. Holland, Norwegen, China und den USA – dann kann man sicherlich nicht von zufriedenstellenden Entwicklungen sprechen. Oder betrachten wir das selbstgesteckte Ziel der Bundesregierung von einer Million Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen bis 2020, dann kann man wohl heute schon sagen: Ziel verfehlt. Denn während man sich hierzulande auf groß angelegte Forschungs- und Entwicklungsprogramme (Schaufenster Elektromobilität) konzentriert und dabei viel Geld investiert, wird in anderen Regionen der Welt gezielt gehandelt und immer mehr Elektrofahrzeuge auf die Straße gebracht. Dort erzeugt man ein echtes Kundeninteresse. Ich bin davon überzeugt, dass sich E-Mobilität auch hierzulande durchsetzen wird. Die Frage ist nur, wie Deutschland im internationalen Wettbewerb innerhalb dieser Entwicklung und Transformationsphase abschneiden wird.

Die Bundesregierung hält noch immer an Ihrer Prognose von einer Million E-Autos in 2020 fest. Was sagen Sie, realistisch oder unrealistisch und weshalb?

Die Zulassungszahlen von heute zeigen: Wir sind weit weg von einer Million E-Autos. Eine echte Marktdurchdringung ist nicht erkennbar. Die Bundesregierung hat versucht, mit der Einführung des Elektromobilitätsgesetzes (EmoG, Inkrafttreten: 12.06.2015) nötige Anreize zu schaffen und der E-Mobilität damit zum Durchbruch zu verhelfen. Dieses damals verabschiedete Maßnahmenpaket war natürlich bei weitem nicht ausreichend, um das ehrgeizige Ziel zu erreichen. Aus meiner Sicht wäre es dringend notwendig gewesen, schon damals echte Anreize bspw. in Form einer Kaufprämie zu beschließen. Stattdessen hat man sich von Ankündigung zu Ankündigung geschleppt und den Kunden letztendlich so stark verunsichert. Ein Kaufinteresse trotzt vorhandener attraktiver Produkte der Hersteller war damit kaum zu etablieren. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass die nun gewährte Kaufprämie und die Ankündigung mehr Ladeinfrastruktur anbieten zu wollen, für mehr Nachfrage und Interesse sorgen wird. Wir von Nissan jedenfalls werden dafür sorgen, auch im Hinblick auf die Gewährung zusätzlicher Anreize, dass das ausgegebene Ziel noch erreicht wird.

Die E-Mobilität hat paradoxerweise einen besonders schweren Stand unter den Autobauern selbst, viele Anhänger der Old-Economy wollen sie schlichtweg nicht. Was entgegnen Sie Ihren Kollegen?

Ich kann nicht für die deutsche Automobilindustrie sprechen. Nissan ist Weltmarktführer bei den rein batterieelektrischen Fahrzeugen und hat als erster global agierende Volumenhersteller früh erkannt, dass sich die gesamte Branche in einem noch nie dagewesenen Umschwung befindet. Ich sehe schon das Risiko, dassdie deutsche Industrie den Anschluss verliert. Jedoch mach ich mir im Hinblick auf unser eigenes Produktportfolio eher weniger Gedanken. Wir arbeiten konzentriert und mit Hochdruck an den Themen Elektromobilität, autonomes Fahren und neuen Mobilitätsdienstleistungen und fühlen uns auch bei den „neuen Playern“ im Feld der Individualmobilität gut aufgestellt. Google, Apple, Uber und auch Tesla haben das Potenzial längst erkannt und sind ernst zu nehmende Wettbewerber. Wir werden uns mit der Rolle eines Zulieferers für neu etablierte Mobilitätsdienstleister mitnichten zufrieden geben – und das eint uns mit den deutschen Autobauern.

Nissan setzt, im Vergleich zu vielen anderen Automobil-Herstellern, extrem auf das Thema E-Mobilität und das nicht erst seit gestern. Warum sind Sie bei Nissan von der E-Mobilität als Antriebstechnik so überzeugt?

Stimmt, unter den globalen Volumenherstellern haben wir früh auf reine batterieelektrisch angetriebene Fahrzeuge gesetzt und damit die globale Führungsrolle eingenommen. Es ist völlig klar, dass die weltweiten CO2-Ziele ohne signifikante Elektrifizierung der Flotte nicht machbar sind. Auch die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern ist eine nicht zu unterschätzende volkwirtschaftliche Komponente. Aus ethischer Sicht wiederum kann man sich der Frage nach Veränderungen ebenfalls nicht entziehen - gerade im Hinblick auf die momentan geführte Debatte um die Luftqualität in den Innenstädten. Natürlich tragen wir als Automobilhersteller dabei ebenso eine Verantwortung, die nicht ausschließlich bei der Bundesregierung eingefordert werden kann.

Künftig erhalten Käufer eines Hybrid- oder Elektro-Fahrzeuges einen sogenannten Umweltbonus, eine Art Kaufprämie, die sich der Bund und die Autoindustrie teilen. Welche weiteren Kauf-Argumenten nennen Sie Ihren Kunden, wenn Sie ein Hybrid oder E-Auto verkaufen möchten?

Wir begrüßen die Einführung der lang diskutierten Kaufprämie ausdrücklich. Sie hätte im Hinblick auf die selbst gesteckten Ziele der Bundesregierung jedoch viel früher realisiert werden müssen. In dieser Frage hätte man der NPE (Nationale Plattform für Elektromobilität) folgen müssen. Hier hatte Herr Kagermann bereits Mitte des vergangenen Jahres eine Bezuschussung von Elektrofahrzeugen gefordert.

Darüber hinaus gibt es aus meiner Sicht zahlreiche Argumente, die für das E-Auto sprechen. Denken Sie bspw. an gewerbliche Kunden: Neben viel niedrigeren Wartungs- und Verschleißkosten kann ein Gewerbetreibender auch dort mobil bleiben, wo Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren aufgrund der Emissionen ausgeschlossen sind. Der Lieferverkehr kann zudem auch dann aufrechterhalten werden, wenn Ruhestörung bzw. laute Motorengeräusche für Anwohner von Quartieren eine Belästigung darstellen. Denn Elektroautos verursachen lokal weder Abgasemissionen noch eine laute Geräuschkulisse wie Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Im Hinblick auf die Gesamtkosten – dem s.g. TCO – können E-Autos schon heute günstiger betrieben werden als vergleichbare Diesel- oder Benziner-Fahrzeuge. Dies passiert derzeit nach einer Laufleistung von ca. 70.000 Kilometern. Und sobald die Spritpreise wieder anziehen, verschiebt sich das Verhältnis noch mehr zu Gunsten der Elektrofahrzeuge.

Wie sieht für Nissan die Mobilität der Zukunft aus?

Nicht nur Antriebstechnologien und neue Mobilitätsdienstleistungen stehen bei uns im Fokus. Auch Themen wie Smart Grids bzw. netzdienliche Systeme in Zeiten der Energiewände stehen auf der Agenda. Elektrofahrzeuge ermöglichen eine neue Form des Energiemanagements. Dank bi-direktionaler Ladung können Nissan Elektrofahrzeuge auch als mobile Energiespeicher und -versorger genutzt werden. Die sogenannte Vehicle-to-Grid (V2G)-Technologie erlaubt es Fahrzeugen wie dem Nissan Leaf und dem e-NV200 im parkenden Zustand an das Stromnetz anzubinden. Die Folge: Privatbesitzer oder Firmen mit einer großen Flotte von Elektromobilen können ihre Fahrzeuge in Stromumschlagplätze verwandeln. Fahrer eines Leaf erhalten die Möglichkeit, ihr Auto während günstiger Nachtstromtarife aufzuladen und die in der Batterie gespeicherte Energie während der teureren Tagstunden an den Haushalt abzugeben oder sie sogar ins öffentliche Netz einzuspeisen – und auf diese Weise das Haushaltsbudget zu entlasten. Die sinkende Abhängigkeit vom klassischen Stromnetz und die intelligente Speicherung überschüssiger Energie in den Batterien kann die Nutzung von Elektroautos maßgeblich verändern. Auch haben wir uns mit dem Power-Management-Unternehmen Eaton zusammengetan, um gemeinsam eine neue stationäre Energiespeicher-Einheit anzubieten. Diese sogenannte „xStorage HOME“-Lösung nutzt Nissan Batterien nach ihrem Einsatz im Auto und soll Verbrauchern die Möglichkeit geben, ihren selbsterzeugten Strom entsprechend zu nutzen.

Mit welchen technologischen Highlights werden Sie in den nächsten Jahren aufwarten?

Nissan hat gemeinsam mit dem renommierten Londoner Architekturbüro Foster + Partners jüngst sein Konzept der vollvernetzten Mobilität präsentiert. Darin wird das Elektrofahrzeug selbst zur Tankstelle, dass eine traditionelle Station ersetzt. Diese Vision greift eine Reihe von zukunftsorientierten Technologien wie Vehicle-to-Grid (V2G), Batteriespeicher, kabelloses Laden, autonome Fahrsysteme und Konnektivität auf. Zusammengenommen revolutionieren sie unseren Alltag. Die Art, wie wir Energie in europäischen Großstädten genutzt, verteilt und zurückgespeist wird.

Parallel zu diesem Konzept testet Nissan derzeit in Europa auch V2G-Systeme, die mit recycelten Batterien aus Elektroautos kombiniert werden können. Fahrer von Elektrofahrzeugen werden dadurch zu „Energieversorgern“, die grüne Energie speichern und zurück ins öffentliche Netz speisen können.

Natürlich haben wir auch unsere eigene zum autonomen Fahren. Bis zum Jahr werden wir mit unserem Allianzpartner Renault schrittweise entsprechende Technologie und Teilsysteme in verschiedenen Modellen anbieten. Stauassistent, selbsttätiges Einparken und automatisierte Spurwechsel sind dabei nur einige der Meilensteine.

Ihr persönlicher Appell an die deutsche Politik: Wie können die Rahmenbedingungen für die E-Mobilität in Deutschland noch verbessert werden?

Mehr Mut, Schnelligkeit und ein echtes Interesse an der Verwandlung des Verkehrs- und Energiemarktes: Es gibt eine historische Chance, Deutschland zum Leitmarkt für viele neue Technologien in den skizzierten Bereich zu verwandeln. Ich bin mir sicher, dass die nötigen Transformationsprozesse mehr Chancen als Risiken bieten und die vielzitierte Angst vor dem Wegfall von Arbeitsplätzen in diesem Bereich völlig unbegründet ist. Wenn wir in das Silicon Valley schauen, entstehen jeden Tag neue Jobs und es werden Berufsbezeichnungen geschaffen, die es vor fünf Jahren noch gar nicht gab. Wenn wir auf diese Entwicklungen in einer globalisierten Wirtschaft mit Zögern reagieren und an Liebgewonnenem festhalten, dann fahren wir sehr bald hinter. Diesen Rückstand einzuholen, wird schwer werden.

 

ZUR PERSON:

Robert Echtermeyer, Leiter der Hauptstadtrepräsentanz Berlin Verantwortlich für die politische Kommunikation im Hinblick auf Innovationen und neue Geschäftsmodelle innerhalb der Individualmobilität.



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