Grüne Wirtschaft

Nachhaltiger Tourismus: Ein Interview mit Roland Streicher von ReNatour

"Der mit Abstand größte Problembereich ist die Anreise ins Urlaubsgebiet. Hier werden bis zu 90% der CO2-Emissionen einer Urlaubsreise verursacht".

"Der mit Abstand größte Problembereich ist die Anreise ins Urlaubsgebiet. Hier werden bis zu 90% der CO2-Emissionen einer Urlaubsreise verursacht".

10. Dez. 2013

UHS.de: Herr Streicher, was ist das Besondere an Ihren Reisen und wie sind Sie zum nachhaltigen Tourismus gekommen?

ROLAND STREICHER: Der Name „ReNatour – natürlich reisen“ sagt es schon: Wir bieten seit 20 Jahren Urlaub mit dem Schwerpunkt Natur an - umweltverträgliche und sozial verantwortliche Reisen, die Spaß machen, Erholung gewährleisten und auch bezahlbar sind.

Auf die Idee kam ich schon während meines BWL-Studiums. Ich war und bin begeisterter Skifahrer und leitete früher mal eine Skischule. Dabei habe schnell auch die Schattenseiten des Tourismus kennengelernt. Ich wollte gerne weiter in der Reisebranche arbeiten, aber Reisen anbieten, die mehr Sinn machen. Aus diesen Gedanken hat sich dann ReNatour entwickelt.

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Was kennzeichnet nachhaltigen Tourismus? Wie sieht beispielhaft eine umweltfreundliche und sozial verantwortungsbewusste Urlaubreise aus? Können Sie dies anhand der wichtigsten Kriterien skizzieren?

Darüber könnten wir uns Stunden unterhalten, denn eine Urlaubsreise hat viele Elemente, die man betrachten muss. Wie beim Thema Nachhaltigkeit generell, geht es auch beim Reisen darum, so zu handeln, dass Ressourcen schonend verbraucht werden und wir nicht auf Kosten nachfolgender Generationen Urlaub machen.

Der mit Abstand größte Problembereich ist die Anreise ins Urlaubsgebiet. Hier werden bis zu 90% der CO2-Emissionen einer Urlaubsreise verursacht. Deswegen macht es Sinn, lieber länger zu verreisen anstatt öfter – auch wenn der allgemeine Trend in die andere Richtung geht.

Ein wesentlicher Punkt ist die Frage, wieviel von dem Geld, das wir als Touristen ins Land bringen, tatsächlich vor Ort hängen bleibt. Sprich, wie hoch ist die lokale Wertschöpfung. Können die Menschen vor Ort von den Einnahmen leben oder fließt das meiste Geld wieder ins Ausland an Airlines, internationale Hotelketten, Reiseveranstalter etc..

Regionale Küche, schonende Bauweise der Unterkünfte, naturverträgliche Freizeitangebote – all das gehört dazu.

Ein Paradebeispiel für eine wirkliche Öko-Reise sind für mich unsere Planwagenferien in den Vogesen. Eine Woche Urlaub mit 1 PS. Das Pferd zieht den ähnlich wie ein Wohnmobil ausgestatten Wagen von Bauernhof zu Bauernhof, wo man jeden Abend von den Gastgebern landestypisch mit einheimischen Lebensmitteln verwöhnt wird. Wenn dann auch noch die Anreise nach Frankreich mit der Bahn erfolgt, kann man nicht viel verbessern – kaum Emissionen und das Geld bleibt weitestgehend bei den Menschen vor Ort. Aber keine Angst, es gibt auch komfortablere und weniger ungewöhnliche nachhaltige Reiseangebote.

Wie viele Menschen machen sich über Ihr Reiseverhalten Gedanken?

Immer mehr – das ist erfreulich! Wobei man sagen muss, dass zwischen Gedanken machen und entsprechendem Handeln schon noch ein weiter Weg ist. Das kennt jeder von sich selbst. Oft wird mit dem Preis argumentiert, wenn es doch die klassische Pauschalreise wird. Aber da empfehle ich, genau hinzusehen, denn eine umweltverträgliche Reise muss nicht zwingend teurer sein.

Ist ein schlechtes Gewissen die beste Motivation für Urlauber ihre Reise umweltfreundlich zu gestalten oder fallen Ihnen noch andere Ansätze ein?

Das ist ganz sicher der falsche Ansatz. Wenn Sie mich nach Kriterien eines Nachhaltigen Tourismus fragen, klingt das natürlich alles nach dem schimpfenden Zeigefinger. Wenn Sie aber unsere Reiseangebote ansehen, merken Sie sofort, dass hier andere Themen im Vordergrund stehen: Spaß, Emotionen, Erholung – das sind die Dinge, die wir im Urlaub suchen und das bieten wir! Der Kunde muss begeistert aus seinem Urlaub zurückkehren und wenn er dann auch noch mitbekommt, dass sein Veranstalter sich für Mensch und Umwelt engagiert, dann wird er zufrieden sein und wieder kommen.

Viele Fluglinien bieten ihren Kunden an,  die durch die Reise verursachten Treibhausgase durch eine freiwillige Abgabe zu kompensieren. Sind solche Kompensationszahlungen Ihrer Meinung nach der richtige Weg oder sollte es vielmehr darum gehen, Emissionen zu vermeiden?

Kompensation ist immer die zweitbeste Lösung. Es muss auch nicht immer die Flugreise sein, Urlaub vor der Haustür kann wunderschön sein. Oft kommt es mir so vor, als würde bei uns Urlaub für viele Menschen automatisch eine Flugreise bedeuten. Das ist schade und die Umweltproblematik beim Flug muss weiter Thema sein. Dazu sind die verschiedenen Kompensationsangebote, wie atmosfair, das wir mit entwickelt haben, durchaus ein gutes Instrument, da der Kunde sich dadurch mit dem Thema beschäftigt und sensibilisiert wird.

Was kann man noch tun, um seinen Urlaub umweltfreundlich zu gestalten?

Meist sind es die Kleinigkeiten, die in Summe viel ausmachen. Nehmen Sie zum Beispiel eine kleine Einkaufstasche mit in den Urlaub statt vor Ort jeden Tag fünf Plastiktüten entsorgen zu müssen. Fragen Sie auch mal nach einem öffentlichen Bus statt nach einem Mietwagen. Oder nehmen Sie das Rad oder gehen zu Fuß. Das ist billiger und man lernt Land und Leute viel besser kennen. Bevorzugen Sie kleine inhabergeführte Unterkünfte. Diese haben meist viel mehr Atmosphäre als große Hotelketten und die Einheimischen profitieren mehr davon.

Hat der sanfte Tourismus überhaupt eine Chance, den Massentourismus abzulösen oder wird er immer ein Nischenprodukt bleiben? Können auch die großen Reiseveranstalter ihr Angebot signifikant nachhaltig ausrichten?

Wenn wir etwas verändern wollen, dann brauchen wir auch die großen Reiseveranstalter. Wenn Thomas Cook oder die TUI in allen Hotels die Einwegverpackungen für Marmeladen verbieten würden, klingt das zwar nach einer Kleinigkeit, würde aber aufgrund der Masse sofort etwas in der Breite bewegen. So lange können wir kleinen Veranstalter gar nicht radeln oder wandern, um eine ähnliche Umweltwirkung zu erzielen. Ich sehe uns eher als Pioniere. Aber wir merken, dass wir wahrgenommen werden. Wir werden regelmäßig zu Tagungen und Workshops von Unis, Messen etc. eingeladen und dort diskutieren wir mit den Verantwortlichen der Großveranstalter.

Viele Menschen scheuen eine zeitintensive Reiseplanung. Wie erkenne ich nachhaltige Reiseangebote, gibt es ein anerkanntes, eventuell sogar weltweites Umwelttourismus-Siegel?

Man kann vom Endverbraucher gar nicht verlangen, dass er sich mit allen möglichen Auswirkungen des Reisens beschäftigt. Deswegen sind Siegel sicher eine gute Orientierung. Hier muss aber genau hinsehen, damit es mehr als ein green washing darstellt. Ein weltweites Siegel gibt es nicht, im Gegenteil, es gibt Hunderte, die eher verwirren als helfen. Ich muss da doch etwas Werbung in eigener Sache machen. Mit ReNatour führen wir alle zwei Jahre den aufwändigen CSR-Management-Prozess von „TourCert“ durch. Von der Anreise über regionale Wertschöpfung bis zum Papierverbrauch im Büro werden alle Bereiche unserer Arbeit anhand von sozialen und ökologischen Kriterien unter die Lupe genommen. Ich denke, dass die Verbraucher mit Unternehmen, die dieses CSR-Qualitäts-Siegel für nachhaltig wirtschaftende Tourismusunternehmen tragen, mit gutem Gewissen reisen können.

Inwieweit wird das Thema nachhaltiger Tourismus politisch gefördert und wo gibt es das größte Verbesserungspotenzial? Sollte es beispielsweise zur Pflicht für Reiseveranstalter werden, die jeweilige CO2-Bilanz neben den Urlaubsreisen aufzuführen?

CO2-Bilanzen für jede einzelne Reise machen aus meiner Sicht wenig Sinn, da es wegen der starken Auswirkung der Transportmittel eigentlich ganz einfach ist: Je weiter weg und je kürzer, desto schlechter ist die Öko-Bilanz.

Es gibt in Deutschland verschiedene Förderprogramme für Nachhaltigen Tourismus, die aber angesichts der riesigen Umsätze, die im Tourismus getätigt werden, eher verschwindend sind. Meist geht es dann auch ausschließlich um Tourismus innerhalb Deutschlands. Was man verbessern könnte? In anderen Ländern gibt es ein Tourismusministerium, um dem Thema generell das nötige Gewicht zu verleihen. So könnten auch Umwelt und Soziales besser in touristische Planungen integriert werden als wenn es sich immer nur um Einzelprojekte handelt.

Ich denke, das Entscheidende für einen Fortschritt ist, dass das Thema Nachhaltigkeit bei Reiseveranstaltern kein temporärer Marketingaspekt ist, sondern auf Unternehmensebene fest integriert wird und so strategisch in allen Überlegungen eine Rolle spielt. Da unterscheidet sich der Tourismus nicht von anderen Branchen. Bislang schaffen das nur kleinere Reiseveranstalter. Wer also seine umwelt-und sozialgerechte Traumreise sucht, muss sich weiterhin gut informieren. Passende und spannende Angebote gibt es aber ganz sicher.




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