Grüne Wirtschaft

"Endlich umweltschädigendes Wirtschaften bestrafen und umweltfreundliches Verhalten besser fördern"

Stefan Bohle ist Berater für Nachhaltigkeitsstrategien. Er unterstützt Unternehmen und Organisationen dabei, ihre Geschäftsmodelle auf Nachhaltigkeit umzustellen.

Stefan Bohle ist Berater für Nachhaltigkeitsstrategien. Er unterstützt Unternehmen und Organisationen dabei, ihre Geschäftsmodelle auf Nachhaltigkeit umzustellen.

05.06.2015

UMWELTHAUPTSTADT.de: Herr Bohle, Sie sind freiberuflicher Berater für Nachhaltigkeitsstrategien. Was ist Ihr Kerngeschäft und an wen richtet sich Ihr Angebot konkret?

STEFAN BOHLE: Ich unterstütze Unternehmen und Organisationen beim Veränderungsmanagement, um Ihre Geschäftsmodelle auf Nachhaltigkeit auf- oder umzustellen. Dafür setze ich eigene („die Blossom Formula“) oder bereits erfolgreich praktizierte Tools wie SAFE (Sustainability Assessment for Enterprises) oder EMAS Easy ein. Mein Angebot richtet sich an KMUs und speziell an Agenturen und Designbüros, die aus meiner Sicht noch einen sehr hohen Nachholbedarf bei dem Thema Nachhaltige Entwicklung haben. Weiter berate ich große mittelständische Unternehmen und Konzerne bei der Entwicklung von Klimaschutzstrategien (das mache ich mit dem NGO atmosfair) und initiiere und beteilige mich an Initiativen wie „Zero Waste Heroes“. Daneben engagiere ich mich im Bereich der Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE).

Welches sind aktuell die größten Themen und Herausforderungen im Nachhaltigkeitsbereich?

Im Grunde genommen haben wir es mit zwei großen Herausforderungen zu tun. Wir verbrauchen zuviel Ressourcen und wir überbeanspruchen die natürlichen Senken des Erdsystems (z.B. durch die Emission von Treibhausgasen). Daraus ergeben sich vielfältige und komplexe Themen- und Fragestellungen. Wie werden wir in Zukunft wirtschaften, wie werden wir arbeiten und wie werden wir Leben, um wieder in eine Balance mit unserer natürlichen Umwelt zu kommen? Und das mit jetzt über sieben Milliarden und in Zukunft mit bis zu zehn Milliarden Mitbewohnern. Wer wird das organisieren? Welche Handlungsakteure müssen welche Massnahmen ergreifen?

Und wie gehen Sie damit um?

Ich versuche erstmal bei mir selbst und im privaten die Dinge umzusetzen und danach zu handeln, was ich anderen predige. Das gelingt nicht immer, man ist in vielen Sachzwängen und Gewohnheiten verstrickt und es macht mir immer deutlich, wie schwierig und komplex die Anforderungen sind, Nachhaltigkeit im Alltag umzusetzen. Letztlich wird es auf die Rahmenbedingungen ankommen, die von der Gesellschaft und durch die Politik geschaffen werden müssen, damit sich das in der Breite realisieren läßt (Stichworte: Öko- oder Ressourcensteuer, Emissionshandel, Reduzierung von umweltschädlichen Subventionen, Internalisierung von Umweltkosten, etc.).

Aus welcher Motivation heraus wird das Thema Nachhaltigkeit in das wirtschaftliche Handeln von immer mehr Unternehmen implementiert?

Der erste Hebel, damit ein Unternehmen überhaupt beginnt, sich für das Thema Nachhaltigkeit zu interessieren, ist und bleibt die Kostenthematik. D.h. der Ansatz durch Effizienzmassnahmen gleichzeitig auch umweltschädliche Auswirkungen zu begrenzen (Energie, Ressourcen, Mobilität, Produktivität, etc.). Der zweite Hebel ist sicherlich, das Konzept Nachhaltigkeit als Innovationsthema im Unternehmem zu begreifen und Produkt- oder Dienstleistungslösungen zu schaffen, die eine nachhaltige Entwicklung fördern und unterstützen. Der dritte Hebel ist das Reputations- und Imagethema, das für die Aussen-, wie für die Innenkommunkation und für das Recruiting immer wichtiger wird. Junge Menschen wollen nicht mehr in Unternehmen arbeiten, die Umwelt, andere Menschen irgendwo auf der Welt oder Tiere schädigen. Man möchte einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen und seinen Teil zu einer positiven Entwicklung beitragen.

Auf welche betrieblichen Bereiche schlägt sich eine nachhaltige Ausrichtung besonders nieder?

Das kommt natürlich auf die Branche an. Im produzierenden Gewerbe sind die Energie-, Ressourcen-, und Emissionsthemen die großen Baustellen, in der Konsumgüterbranche sind die Betrachtung der Lieferketten und der Produktlebenszyklusphasen und deren Auswirkungen wichtige Stellschrauben. Dienstleistungs- und IT-Unternehmen haben das Mobilitätsthema und die Emissionen aus den Serverparks auf der Agenda. Wesentliche Voraussetzung ist der integrierte Ansatz, der es notwendig macht, das man abteilungsübergreifend an den Themen der Nachhaltigkeit arbeitet. Ich hatte mal einen Kunden mit über 15.000 Mitarbeitern, der von einem visionären Chairman geführt wurde und der Nachhaltigkeit ganz oben auf seiner Agenda hatte, aber er hatte sein Management nicht im Boot. So wurde nachhaltiges Bemühen des einen Managers z.B. durch Einkäufe nicht nachhaltiger Güter des Managers aus dem Einkauf konterkariert. Wenn sie nicht über eine ganzheitliche Strategie verfügen, wie Nachhaltigkeit im Unternehmen umgesetzt werden soll und wenn sie die Mitarbeiter im Unternehmen nicht mit einbeziehen, werden sie scheitern.

Welche Themen, Informationen und Netzwerke sind nötig, um ein Unternehmen nachhaltiger auszurichten?

Unternehmen tun sich immer noch schwer ihre Geschäftsmodelle hin zu nachhaltigen Geschäftsmodellen zu transformieren. Da fehlen oft Know-how, Zeit, natürlich Kapital, oft eine Vision und auch der Mut, einmal eine Vorreiterrolle in einer Branche einzunehmen. Es wird geschaut, was die anderen machen und danach richtet man sich. Immer mehr Unternehmen veröffentlichen jetzt auch ihre nichtmonetären Daten und Informationen in sogenannten Nachhaltigkeitsberichten (das wird gesetzlich ab 2016 für Unternehmen ab 500 Mitarbeiter in der EU auch vorgeschrieben). Das ist ein erster Schritt in Richtung nachhaltigerer Entwicklung im Unternehmen. Wenn man sich die Berichte anschaut, dann stehen da oft - aus unserer Sicht - Selbstverständlichkeiten drin, wie z.B. das man sich an Gesetze hält oder das man die Mitarbeiter fair bezahlt. Ein Problem aus unserer Sicht ist, das man lieber unter Seinesgleichen verweilt (z.B. auf Plattformen wie econsense oder dem World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) ). Nur wenige trauen sich, in einem offenen Dialog mit ihren Stakeholdern zu treten, mit der Wissenschaft, den NGOs oder den gesellschaftlichen Initiativen zu diskutieren. Hier würde ich mir mehr Austausch und mehr Netzwerk wünschen.

Inwiefern wird eine nachhaltige Ausrichtung von Kunden honoriert und lässt sich das messen?

Es gibt Unternehmen, die sehr erfolgreich das Thema Nachhaltigkeit im Unternehmen umsetzen und durch Kundenzuspruch und Wachstum belohnt werden. Mir fällt dazu natürlich die heimische Bio-Lebensmittelbranche ein, die enormen Zuspruch erfährt. Seriöse Anbieter von Ökostrom wachsen kontinuierlich und selbst in der Finanzwelt gibt es Unternehmen, wie z.B. die GLS Bank, die sich mit dem Nachhaltigkeitsthema mehr und mehr Kundengruppen erschließt. Eine Werbeagentur hat den Versuch gestartet, den Erfolg von Nachhaltigkeitsengagement bei Kunden zu messen. Ich bin aber da skeptisch. Es wird da vom souveränen Konsumenten ausgegangen, von dem wir wissen, dass er so souverän gar nicht ist. Wenn sie als Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit kontinuierlich, transparent, integriert und glaubwürdig angehen, werden sie zukunftsfähig bleiben und Kunden und Märkte finden. Alle anderen Unternehmen werden zunehmend Schwierigkeiten bekommen.

Verraten Sie uns doch einmal ein paar Zukunftsthemen in Sachen Nachhaltigkeit, die Sie spannend finden?

Ich glaube, das die Themen, die wir auf der Agenda haben, uns auch noch eine Weile in der Zukunft beschäftigen werden. Wie gestaltet sich Wirtschaft und Gesellschaft in einer Postwachstumsökonomie, wie wird für Milliarden von Menschen Mobilität organisiert, wie werden die Smart oder Green Cities dieser Erde aussehen, woher und auf welche Art und Weise wird die Menschheit ihren Hunger nach Energie in Zukunft stillen? Und das spannende Thema Bildung ist für mich auch ein wichtiges, zentrales Zukunftsthema. Wie bereiten wir die jungen Menschen auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vor? Wie muss sich z.B. die Wirtschaftslehre ändern und welche Kompetenzen müssen an den Schulen und Universitäten vermittelt werden, damit wir unsere Probleme bewältigen können? Das Bildungsministerium fordert seit Jahren Nachhaltigkeit als übergeordnetes Thema in allen Studiengängen zu integrieren, aber Studien zeigen, dass wir damit noch einen sehr weiten Weg vor uns haben und noch dicke Bretter zu bohren sind.

Stichwort Unternehmensstandort Deutschland: An welchen Stellschrauben würden Sie gerne drehen, um die Rahmenbedingungen für nachhaltige Unternehmen attraktiver zu machen?

Endlich umweltschädigendes Wirtschaften zu bestrafen und umweltfreundliches Verhalten besser zu fördern. Zur Zeit verhält es sich genau anders herum. Nachhaltig wirtschaftende Unternehmen sind benachteiligt, weil sie ihre Umweltkosten stärker internalisieren und nicht bei Gesellschaft und Umwelt auslagern. Auch würde es helfen, wenn wir mehr junge Unternehmen ermutigen und unterstützen würden, sich mit Geschäftsmodellen der Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Das mit Finanzkapital am besten ausgestatteste Start-up in Deutschland war Zalando. Aus meiner Sicht ein Armutszeugnis für den Innovations-standort Deutschland. Das kann nicht unsere Antwort auf die Herausforderungen im 21. Jahrhundert sein.

Zur Person:

Stephan Bohle ist Nachhaltigkeits- und Kommunikationsexperte mit internationaler Projekt- und Führungserfahrung und berät seit mehr als 20 Jahren in Fragen des Veränderungs-managements, der Strategieentwicklung und des Marketings. Das Thema Nachhaltigkeit entwickelte sich zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit. Als selbständiger Berater unterstützt er Unternehmen und Organisationen bei der Entwicklung und Implementierung von Nachhaltigkeitsstrategien und Nachhaltigkeitskommunikation. Daneben nimmt er Lehraufträge an Hochschulen in Berlin war. Sein Workshop- und Lehrkonzept wurde von der Deutschen Unesco-Kommission als Projekt der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ausgezeichnet. Stephan Bohle ist Mitglied der Gesellschaft für Nachhaltigkeit, Mitglied des Netzwerks Nachhaltige Ökonomie und Beiratsmitglied der Deutschen Umweltstiftung. Er ist Mitherausgeber von Cause&Effect - Visualizing Sustainability, das erste Buch über die neue Bildsprache der Nachhaltigkeit.




Kommentare
Maja Wichert
27.09.2016
Nachhaltigkeit muss kein Widerspruch zu wirtschaftlichem Handeln sein. Ich denke, wenn man das deutlicher hervorhebt, dann kann man etwas verändern.

Monika
14.07.2016
Was für ein ausführliches Interview, danke an die Redaktion für die Mühe *thumbs up*. Dass die GLS Bank mit im Boot sitzt hätte ich nun wirklich nicht gedacht ;)

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