Grüne Wirtschaft

Ein Interview mit Dr. Weert Canzler vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin

Dr. Canzler über sein neues Buch "Einfach aufladen - Mit Elektromobilität in eine neue Zukunft" und die Zukunft des Car-Sharings

Dr. Canzler über sein neues Buch "Einfach aufladen - Mit Elektromobilität in eine neue Zukunft" und die Zukunft des Car-Sharings

Das Interview führte Marcus Noack

Herr Dr. Canzler, Sie haben 1995 am Institut für Soziologie der TU Berlin promoviert. 1998 haben Sie zusammen mit Andreas Knie die Projektgruppe Mobilität ins Leben gerufen. Worum ging es damals?

Uns ging es bei der Gründung der Projektgruppe Mobilität darum, die sozialwissenschaftliche Forschung in diesem Bereich zu stärken. Verkehrs- und Mobilitätsfragen wurden – und werden immer noch – zu sehr als technische oder ökonomische Fragen betrachtet. Dabei kommt die Nutzungsdimension oft zu kurz. Man kann zum Beispiel den Erfolg und die Attraktivität des Autos nicht allein mit seinen technischen Eigenschaften erklären. Meistens ist das private Auto zudem wirtschaftlich völlig unvernünftig. Doch wer rechnet schon die wirklichen Kosten des privaten Autofahrens einschließlich Wertverlust und Eigenarbeit des Tankens und Autowaschens für sich selber aus?

 

Von 1998 bis 2003 hatten Sie die Leitung der Begleitforschung zum Feldversuch CashCar inne. Dabei ging es um den Bedeutungswandel des Privat-Automobils und ein Full Service Leasing-Angebot. Können Sie bitte den Feldversuch etwas genauer erklären und kurz auf das Ergebnis eingehen.

Das CashCar-Projekt war der Versuch, das damals etwas zähe Carsharing mit einem komplementären Leasingangebot voran zu bringen. Während Carsharing eine interessante Option für Leute ist, die ab und an ein Auto brauchen, ist das Cash Car ein Angebot für diejenigen, die ab und an kein Auto brauchen. Die Idee ist, dass das geleaste CashCar dann dem Carsharing zur Verfügung steht, wenn es vom Leasingnehmer selber nicht benötigt wird – dann gibt es „cash“ für das „car“. Das meiste gibt es dann, wenn die Nachfrage am größten ist. Es ist also ein strikter ökonomischer Anreiz dahinter. Im Ergebnis hat ein Praxistest mit mehreren hundert Teilnehmern erbracht: so gut die Idee auch klingt, so wenig alltagstauglich ist ihre Umsetzung. Denn im Alltag möchten die wenigsten Menschen ständig darüber nachdenken, wann sie ihr Fahrzeug nun brauchen und wann sie es ins Carsharing geben. Kurzum: für Privatnutzer ist das CashCar-Angebot zu aufwändig und mit zu viel Nachdenken verbunden, für gewerbliche Nutzer und vor allem für Flottenmanager ist das Modell allerdings hoch attraktiv. Daher sind viele Erkenntnisse aus dem Praxistest in neue effiziente Flottenkonzepte eingegangen.

 

Heute arbeiten Sie am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Sie befassen sich unter anderem mit den Verkehrskonzepten der Zukunft. Welche sind das und wie wird sich der Verkehr in Deutschland in den nächsten Jahren entwickeln?

Allgemein gesprochen: uns interessieren Innovationen im Verkehr. Derzeit konzentrieren wir uns vor allem auf die im Entstehen begriffene Elektromobilität. Da findet gerade in – oder außerhalb? - einer reifen Branche ein radikaler technischer Wandel statt. Immerhin ist der Verbrennungsmotor seit vielen Jahrzehnten das Herz des Automobils. Angesichts begrenzter fossiler Energieträger und der Notwendigkeit, die CO2-Emissionen auch im Verkehr drastisch zu reduzieren, liegt die Zukunft in postfossilen Antriebstechniken. Damit löst sich das Leitbild der Rennreiselimousine auf und neue integrierte Verkehrsangebote erhalten plötzlich Chancen. Das heißt: kombinierte Mobilität, in denen Elektroautos nur einen von mehreren Bausteinen darstellen, auf Basis regenerativer Energien – und auf mittlere Sicht sogar als Teil eines Smart Grid – wird zum neuen Leitbild für urbane Mobilität. Hört sich noch ziemlich abstrakt an, ist jedoch in einigen Pilotversuchen im Rahmen der E-Mobility-Förderung schon auf dem Weg. Da muss man nur nach Paris und Amsterdam gucken oder auch nach Berlin, wo im BeMobility-Projekt damit experimentiert wird.

 

 
Carsharing wird immer beliebter. Es entstehen privat gegründete Startups zum Thema und auch Daimler bietet unter vielen anderen ein Carsharing mit Smarts in den Städten Ulm und Hamburg an. Wie gut sind Ihrer Meinung nach diese Projekte und was sind die wichtigsten Kriterien, damit Carsharing zukünftig von einer breiten Masse genutzt werden kann?

Tatsächlich tut sich beim Carsharing derzeit viel. Alle Autohersteller setzen nunmehr auch auf die Auto-Kurzzeitvermietung. Das hätte vor ein paar Jahren kaum jemand gedacht. Und der Erfolg des Car2go-Konzepts zeigt auch, was erfüllt sein muss: die Autos müssen zahlreich und sichtbar im öffentlichen Raum auftauchen, der Zugang und die Tarife müssen einfach sein und das Mobiltelefon, präziser: das Smart Phone, ist der Schlüssel zum Erfolg. Über eine einfache App werden die Fahrzeuge gesucht und gebucht und der Nutzer identifiziert. Aus unserer Sicht muss künftig das Carsharing noch stärker mit dem öffentlichen Verkehr verknüpft sein. Der entscheidende Hebel dürfte weniger in Subventionen liegen, sondern in klaren ordnungspolitischen Rahmensetzungen: Der Durchbruch könnte kommen, wenn Carsharing-Fahrzeuge auf öffentlichen Parkflächen bevorzugt und zugleich von einer flächendeckenden Parkraumbepreisung, die wir in allen Städten brauchen, ausgenommen werden. Aber man muss sich klar sein, was das bedeutet: wir haben dann eine Bevorzugung der kollektiven Nutzung von Autos und eine Benachteiligung von privaten Autos. Da muss man politisch Rückgrat haben, wenn der ADAC und die Boulevardpresse Zeter und Mordio schreien.


Sie haben zusammen mit Prof. Dr. Andreas Knie, dem Geschäftsführer des Innovationszentrums Mobilität und gesellschaftlicher Wandel ein Buch geschrieben. Es heißt "Einfach aufladen - Mit Elektromobilität in eine neue Zukunft".
Worum geht es in Ihrem Buch und für wen haben Sie es geschrieben?

In unserem Buch geht es um die mehrfach vernetzte Elektromobilität von morgen. Wir sehen in den Beschränkungen der Elektroautos, nämlich eine begrenzte Reichweite und lange Ladezeiten, in erster Linie Chancen. Chancen vor allem für so genannte intermodale Verkehrsangebote. Darin werden Elektroautos auch vorkommen. Sie werden in Flotten betrieben und dienen nicht nur als Verkehrsmittel, sondern zugleich als Puffer für die bekanntlich volatilen erneuerbaren Energien. Die Formel lautet hier: gesteuertes Laden. Professionell in Flotten gemanagte Elektrofahrzeuge können überschüssigen Windstrom aufnehmen, wenn beispielsweise nachts die Abnahme fehlt, oder sie können als Puffer bereit stehen für die Mittagsstunden, wenn mehr Sonnenstrom produziert wird als in den Fabriken und Küchen benötigt wird.

Geschrieben haben wir das Buch für die berühmten „interessierten Bürger“. Also für diejenigen, die sich etwas intensiver mit dem Thema der künftigen integrierten Elektromobilität beschäftigen möchten, ohne gleich dicke Konferenzberichte oder akademische Fachzeitschriften wälzen zu müssen. Ideal für diejenigen, die eine verträgliche Lektüre im ICE bevorzugen, nachdem die Zeitung ausgelesen ist.




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