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Die Potenziale der integrierten Berichterstattung

Mehr denn je nutzen Investoren nichtfinanzielle Angaben der Unternehmen, um damit ihre Investitionsentscheidungen zu untermauern. EY-Nachhaltigkeitsexpertin Nicole Richter erläutert die Potenziale der integrierten Berichterstattung und die Treiber hinter dieser Entwicklung.

Mehr denn je nutzen Investoren nichtfinanzielle Angaben der Unternehmen, um damit ihre Investitionsentscheidungen zu untermauern. EY-Nachhaltigkeitsexpertin Nicole Richter erläutert die Potenziale der integrierten Berichterstattung und die Treiber hinter dieser Entwicklung.

04.02.2016

UMWELTHAUPTSTADT: Frau Richter, Ernst & Young hat eine Studie zum Interesse von Investoren an nichtfinanziellen Unternehmensinformationen durchgeführt? Welche Motivation steckte dahinter?

NICOLE RICHTER: Mehr denn je nutzen Investoren nichtfinanzielle Angaben der Unternehmen, um damit ihre Investitionsentscheidungen zu untermauern. Das ist sinnvoll, da bei vielen Unternehmen heutzutage die immateriellen Vermögenswerte die materiellen übersteigen. Auch aufgrund global vernetzter Märkte und Lieferketten sind die Informationsanforderungen deutlich gestiegen. Im Mittelpunkt der Diskussion um Unternehmenswertschöpfung stehen also neben Daten zur Unternehmensführung und Korruptionsbekämpfung auch solche über ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit.

Trotz klarer Indikatoren, dass Investoren Interesse an diesen Kennzahlen haben, gibt es immer noch viele Unternehmen, die die Erwartungen der Anleger in Bezug auf ihre Berichterstattung in diesen Bereichen nicht treffen. Mit unserer Analyse schaffen wir in dieser Hinsicht Transparenz und zeigen die Potenziale der integrierten Berichterstattung auf.

Woher kommt das gesteigerte Interesse an gesamtheitlicher Unternehmensführung? Welches sind die größten Treiber?

Wir sehen zwei Haupttreiber: Zum einen das Bekanntwerden immer neuer Fälle unethischen Verhaltens von Unternehmen und das steigende Bewusstsein der Menschen für den Einfluss der Wirtschaft auf die Umwelt und Menschen – auch am anderen Ende der Welt.

Zum anderen ist die heutige Welt schneller, verknüpfter, komplexer geworden. Unternehmen, die global agieren, sind auch von globalen Phänomenen betroffen. Durch die Nutzung und Veröffentlichung nichtfinanzieller Kennzahlen können Sie auf diese neuen Anforderungen besser reagieren.

Welches sind die wesentlichen Erkenntnisse aus der Studie?

Für uns sind drei Kernergebnisse besonders bemerkenswert. Erstens zeigt die Studie auf, dass 80 Prozent der befragten Investoren die Verantwortung für nichtfinanzielle Berichterstattung beim Aufsichtsrat sehen – ein klares Zeichen dafür, wie wichtig dieses Thema für Investoren heute ist. Zweitens sehen wir einen deutlichen Anstieg der Erwartungshaltung von Investoren sowohl in Bezug auf Qualität als auch die abgedeckten Themen der Unternehmensberichterstattung zu nichtfinanziellen Kennzahlen. Drittens zeichnet sich ein starker Trend hin zur Nutzung integrierter Berichte ab: 70 Prozent der Befragten nennen diese als zentrale Informationsquelle für nichtfinanzielle Informationen.

Gibt es bestimmte Branchen oder Sektoren, für die ein besonders hohes Interesse an nichtfinanziellen Informationen besteht?

Das klare Ergebnis unserer Studie ist, dass Investoren an nichtfinanziellen Informationen für alle Branchen interessiert sind. Wobei für manche Branchen Aufholbedarf besteht, um dieses Interesse zu bedienen. Während zum Beispiel der Energiesektor und die produzierende Industrie schon länger Umweltaspekte in ihr Management einbeziehen und die Textilindustrie aufgrund aktueller Menschrechtsdiskussionen vermehrt über diesen Aspekt berichtet, haben andere Industrien noch Aufholbedarf. In Anbetracht des steigenden Interesses der Finanzmärkte sind diese jetzt gut beraten, diese Lücke zu schließen.

Was versteht man unter „Stranded Assets“ und welche Bedeutung haben Sie vor dem Hintergrund aktueller politischer und ökologischer Veränderungen?

Als „Stranded Assets“ – zu Deutsch in etwa „verlorene Investitionen“ – werden Investitionen bezeichnet, die zum Beispiel aufgrund von stark ansteigenden politischen Anforderungen oder öffentlichem Druck dauerhaft an Wert verlieren und somit außerplanmäßige Abschreibungen bedingen. Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte Carbon Bubble: Um katastrophalen Klimawandel zu vermeiden, dürfen laut aktuellen autoritativen Studien 60 bis 80 Prozent der vorhandenen fossilen Energiereserven nicht mehr genutzt werden. Würde dies über die Klimapolitik verbindlich werden, wäre insbesondere die Industrie rund um fossile Energieträger – und in Folge auch die Portfolios der meisten Investoren – massiv überbewertet und die Unternehmen sowie die Portfolios müssten außerplanmäßig im Wert berichtigt werden. Insofern sollten Unternehmen Stranded Assts unbedingt in ihrer strategischen Planung berücksichtigen – und dies dann auch offen kommunizieren.

Wie nutzen Investoren nichtfinanzielle Unternehmensinformationen und wie beeinflussen sie ihr Handeln?

Schon heute beziehen fast vierzig Prozent der Befragten nichtfinanzielle Informationen zu Umwelt und sozialen Aspekten regelmäßig und strukturiert in ihre Investitionsentscheidungen ein: eine Verdopplung im Vergleich zu letztem Jahr. 35 Prozent berichten, aufgrund von Risiken von Stranded Assets im letzten Jahr bereits Investitionen  aus betroffenen Unternehmen abgezogen zu haben. Es ist also klar zu beobachten, dass qualitativ hochwertige, konsistente und finanziell relevante – kurz: wesentliche – nichtfinanzielle Informationen stark an Bedeutung gewinnen, wenn es  Unternehmen um ihre Positionierung an den Finanzmärkten geht.

Wie nützlich sind internationale Regelwerke zur nachhaltigen Berichterstattung?  Welche finden aktuell die meiste Anwendung und welche werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen?  

Sehr nützlich. Investoren bewerten integrierte Berichte, die dem -Rahmenwerk des IIRC (International Integrated Reporting Council) folgen, fünfmal mehr als „sehr nützlich“ als solche, die keinen anerkannten Leitlinien folgen. Weitere international anerkannte Rahmenwerke sind zum Beispiel die G4-Leitlinien der Global Reporting Initiative (GRI) und die Sustainability Accounting Standards des Sustainability Accounting Standards Board (SASB).

Was verbirgt sich hinter der sogenannten „CSR-Richtlinie“?

Die Richtlinie beinhaltet, dass Unternehmen von öffentlichem Interesse – sogenannte PIEs –  mit mehr als 500 Mitarbeitern ab 2017 verstärkt über nichtfinanzielle Aspekte berichten müssen. Sie werden verpflichtet, Konzepte und deren Umsetzung sowie wesentliche Risiken und Kennzahlen in Bezug auf die von der Richtlinie vorgegebenen nichtfinanziellen Belange in ihrem Lagebericht darzustellen. Die sogenannten Belange umfassen Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialthemen sowie die Themen Menschenrechte, Bestechung und Korruption. Alle PIEs sollen außerdem über ihr Konzept und ihre Ziele im Bereich Diversität in Aufsichts-, Leitungs- und Kontrollgremien berichten.

In Deutschland warten wir zwar noch auf die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht – ein Gesetzesentwurf wird im ersten Quartal 2016 erwartet –, doch die Mindestanforderungen stehen mit der Richtlinie bereits fest. Die Implikationen der neuen Anforderungen für deutsche Unternehmen haben wir bereits mit unserer Studie „Die CSR-Richtlinie setzt neue Maßstäbe. Starten Sie jetzt mit der Umsetzung!“ analysiert.

Wie gelangen Unternehmen zu einer ganzheitlich integrierten Berichterstattung? Inwiefern leisten Sie Unterstützung?

Der erste Schritt ist stets ein robuster und effizienter Prozess zur Erhebung und Verarbeitung der nötigen Daten. Wir empfehlen Unternehmen zunächst, aufbauend hierauf Erfahrungen mit Nachhaltigkeitsberichterstattung zu sammeln. Bei der Identifikation der wesentlichen Aspekte für das jeweilige Unternehmen unterstützen wir gerne; sie sollten in jedem Fall den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Unserer Studie hierzu haben wir eine Checkliste beigefügt, die Unternehmen helfen kann, ihre individuelle Situation besser einzuschätzen.

In einem zweiten Schritt erarbeiten wir mit jedem Unternehmen in enger Zusammenarbeit, wie integrierte Berichterstattung den größten Mehrwert ergibt. So erhält die Firma einen Prozess, der die wichtigsten Informationen für Investoren und andere Interessensgruppen bereitstellt und gleichzeitig ein sehr wertvolles Management-Tool ist.

 

Die Studie „Tomorrow’s Investment Rules 2.0“  können Sie hier herunterladen:
http://www.ey.com/Publication/vwLUAssets/EY-tomorrows-investment-rules-2/$FILE/EY-tomorrows-investment-rules-2.0.pdf

 

Ihre Ansprechpartnerin:

Nicole Richter
Wirtschaftsprüferin, Steuerberaterin

Executive Director

Climate Change & Sustainability Services

Telefon +49 89 14331 19332

Mobil + 49 160 939 19332

nicole.richter@de.ey.com




Kommentare
Whey man
16.08.2016
Hallo Frau Richter,
In wiefern greifen denn Unternehmen auf große Datensätze von universitären Einrichtungen zurück um nichtfinanzielle Parameter sicher zu erheben? Gibt es hier regen Austausch oder beschäftigen die meisten Firmen dafür eigene Spezialisten für z.B ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit?
Beste Grüße
Wolfgang

Fabio
14.08.2016
Sehr geehrte Frau Richter,

ich schließe mich in meiner Sichtweise klar meinem Vorsprecher an. Jedoch sind die expliziten Erwartungen zumeist auch auf subjektiver Basis gestellt, weshalb sich letztlich die Zufriedenstellung aller Anleger auch langfristig als schwierig erweisen wird.

Beste Grüße,

Fabio B.

Jan
18.02.2016
Hallo Frau Richter,
Ich glaube, dass es immer noch viele Unternehmen gibt, die die Erwartungen der Anleger in Bezug auf ihre Berichterstattung in diesen Bereichen nicht treffen.
Mit solchen Analysen schaffen Sie in dieser Hinsicht Transparenz und zeigen die Potenziale der integrierten Berichterstattung auf.

Ich wünsche Ihnen viel Glück im weiterarbeiten.
Jan

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